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Miss Marple
„Ich habe wirklich keine Begabung, überhaupt keine, bestenfalls nur eine gewisse Menschenkenntnis.“ Miss Marple, Ein Mord wird angekündigt Im beschaulichen St. Mary Mead, am Ende der Old Pasture Lane Das Strickzeug auf dem Schoß, den Blick in ihren geliebten Garten gerichtet, in der Hand eine Tasse Nachmittagstee, sitzt Miss Marple in ihrem Cottage, als könnte sie kein Wässerchen trüben, schmal, viktorianisch, in Spitze oder Tweed gekleidet.
Und doch hat sie ihre Augen und Ohren überall, belauscht Gespräche, zieht aus dem Dorfklatsch ihre Schlüsse und nutzt die Tatsache aus, dass alle sie stets nur für eine reizende, aber geschwätzige alte Jungfer halten und ihre körperlichen und geistigen Fähigkeiten notorisch unterschätzen – sei es der jeweilige Täter, seien es die Behörden oder sei es ihr Neffe Raymond West, der Schriftsteller, der sie liebevoll unterstützt und ihr gelegentlich Urlaube spendiert.
Nach ersten Kurzgeschichten aus den Jahren 1927/28 erschien mit Mord im Pfarrhaus 1930 der erste Roman mit Miss Marple als Hauptfigur, gewidmet hat Agatha Christie ihn ihrer Tochter Rosalind. Es folgten elf weitere Romane und zwanzig Kurzgeschichten. Inspiriert wurde Agatha Christie von ihrer eigenen Großmutter. Miss Marple sei zwar weitaus pingeliger und spießiger, als es ihre Großmutter je war, aber eines hätten sie gemeinsam: Obwohl heiter und aufgeschlossen, erwarteten sie immer das Schlimmste von allem und jedem und behielten mit fast erschreckender Treffsicherheit in der Regel recht. Ihre Menschenkenntnis, ihr Instinkt und ihr Bauchgefühl sind denn auch die Werkzeuge, die Miss Marple bei der Aufklärung von Mordfällen einsetzt, die ihr auf Schritt und Tritt begegnen: In ihrem fiktiven Dorf im Südwesten Englands wie zum Beispiel in Mord im Spiegel (1962), inspiriert vom Schicksal der amerikanischen Filmschauspielerin Gene Tierney. In englischen Herrenhäusern wie beispielsweise in Die Schattenhand (1942), in Bertramʼs Hotel (1965) in London und einmal sogar im Ausland: in der Karibischen Affäre (1964).
Den, chronologisch auf das Leben ihrer Figur bezogenen, letzten Miss-Marple-Fall Ruhe unsanft, entstanden im Zweiten Weltkrieg, legte Agatha Christie zusammen mit dem letzten Poirot-Fall in den Tresor, um für schlechte Zeiten vorzusorgen. Er erschien kurz nach ihrem Tod 1976.
Bis heute ruht Miss Marple nicht. Sie tritt weiterhin unermüdlich in Filmen auf, Leserinnen und Leser können mit Hilfe entsprechender Reiseführer an die Schauplätze ihrer Ermittlungen reisen, und 2023 erscheinen Zwölf neue Geschichten von renommierten britischen und US-amerikanischen Schriftstellerinnen und Marple-Verehrerinnen wie Val McDermid, Lucy Foley oder Ruth Ware (die deutsche Ausgabe dieser Geschichten erscheint 2024 bei Atlantik). Denn die Amateurdetektivin ist längst Teil der Alltagskultur weltweit geworden. In diesem Sinne: „Have a Marple-ous Day!“
Miss Marple Darstellerinnen
Die Erste, die Miss Marple jenseits des Papiers zum Leben erweckte, war Agatha Christie selbst. Im Mai 1934 las sie Miss Marple erzählt eine Geschichte im Radio vor und lieh ihrer Figur in dieser Erzählung, der einzigen, die aus der Sicht von Miss Marple geschrieben ist, ihre eigene Stimme. Leider sind keine Aufnahmen erhalten. Nachhören lassen sich aber die Lesungen der Miss-Marple-Romane und Erzählungen von June Whitfield für BBC Radio aus den Jahren 1993 bis 2015.
Agatha Christie
Die Theaterbühne betrat Miss Marple 1949 in Gestalt der erst 35-jährigen Barbara Mullen in Mord im Pfarrhaus. Es ist umstritten, wer das Stück adaptierte, eindeutig ist jedoch, dass Agatha Christie davon begeistert war und Proben sowie die Premiere besuchte.
Barbara Mullen
Den ersten TV-Auftritt hatte Miss Marple, gespielt von Gracie Fields, 1966 in Ein Mord wird angekündigt.
Gracie Fields
Ins Kino kam Miss Marple 1961. Von den vier Filmen mit Margaret Rutherford, deren Ehemann Stringer Davis in der aus keiner Vorlage hervorgehenden Rolle des Mr Stringer stets mit von der Partie war, basiert nur einer auf einem Miss-Marple-Roman: 16 Uhr 50 ab Paddington (1961). Der Wachsblumenstrauß (1963) und Vier Frauen und ein Mord (1964) waren ursprünglich Poirot-Fälle, Mörder ahoi! (1964) setzt sich aus Christie-Motiven zusammen. Agatha Christie widmete Margaret Rutherford ihren Roman Mord im Spiegel (1962), schrieb aber später, sie sei sicher eine sehr gute Schauspielerin gewesen, „aber nicht im Geringsten wie Miss Marple“.
Margaret Rutherford
In einer deutschen Adaption von Mord im Pfarrhaus spielte 1970 Inge Langen „Fräulein Marple“.
Inge Langen
An der Seite von Geraldine Chaplin, Elizabeth Taylor, Tony Curtis und Rock Hudson spielte in Mord im Spiegel (1980) Angela Lansbury Miss Marple: „Ich habe mein Bestes getan, um sie so originalgetreu wie möglich darzustellen.“ Lansburys Rolle der Jessica Fletcher in Mord ist ihr Hobby weist Parallelen dazu auf.
Angela Lansbury
In dem sowjetischen Spielfilm Тайна „Чёрных дроздов“ (Das Geheimnis der Schwarzdrosseln) aus dem Jahr 1983 auf der Grundlage von Das Geheimnis der Goldmine spielt die estnische Schauspielerin Ita Ever Miss Marple.
Ita Ever
In zwei amerikanischen Fernsehfilmen stellte Helen Hayes, die „First Lady des amerikanischen Theaters“, Miss Marple dar: Das Mörderfoto (1983, nach Karibische Affäre) und Mord mit doppeltem Boden (1985, nach Fata Morgana) an der Seite von Bette Davis.
Helen Hayes
Nachdem Agatha Christie Joan Hickson in Der Tod wartet auf der Bühne erlebt hatte, schrieb sie ihr: „Ich hoffe, eines Tages spielen Sie meine Miss Marple.“ Auch wenn Christie selbst es nicht mehr erlebte: Sie tat es wirklich, und zwar in der zwölfteiligen Fernsehserie Agatha Christie’s Miss Marple (1984–1992).